Wutbrief

Es ist erstaunlich. Nun darf ich zum ersten Mal eine Wutrede schreiben. Man sagt mir, dass meine Wut interessiert. Dass man sie unzensiert hören und lesen will. Jetzt darf ich wütend sein. Wow! Und im gleichen Augenblick löst sich die Wut auf. Sie weicht einer Trauer, einer Erlösung, einem in sich versinken, in ein Müde-Sein. 

Aber gut, ich lasse sie nicht los. Die Wut. Weil sie meine treue Begleiterin ist. Wut oder Frust. Ich kann das nicht mehr auseinanderhalten. Wut, Frust und auch Trauer. Daher zurück zur Wut. An wen richte ich sie überhaupt …?

An die Schulleitung? An die Oberschuldirektion? An die Herren und Damen der Bildungsdirektion? An meine Kolleg*innen im Elternkomitee? An meine Freund*innen, die mich all die Jahre alleine gelassen haben mit diesen Themen? Die sich provoziert gefühlt haben? Die alles relativiert haben? Die gefunden haben, ich übertreibe? Ich sei zu empfindlich? Ich langweile mit immer den gleichen Themen? An meinen Nächsten, die sich immer wieder für mich geschämt haben? An mich selber?

Sehr geehrte Kreisschulpflege

Liebe Schulleitung Liebe Kolleg*innen des Elternkomitees, Vertretung der Sprachgruppe Deutsch

Meine allerliebsten Freund*innen, die ihr alle Gesuche geschrieben habt, für die Umteilung eurer Kinder in andere Schulen 

Heute wende ich mich an Sie alle, um Ihnen folgende wichtige Mitteilung zu machen:
‍Ich bin müde!

Das mag sich vielleicht absurd anhören oder gar banal. Vielleicht empfinden Sie einmal mehr das Unbehagen, nicht zu wissen, was Sie mit meinem Input anfangen sollen. Was ich schon wieder will. Für einmal würde mich das nicht überraschen. Diesmal können Sie ruhig erstaunt und überfordert sein.

Ja! Ich bin müde!

Und ja, ich finde, das geht Sie etwas an. Ich finde, das ist nicht mein Problem. Es hat nicht nur etwas mit mir selbst zu tun. Sondern mit Ihnen. Ich finde, das ist genauso Ihr Problem. Ein Problem, das Sie ernst nehmen sollen. Ja … müssen.

Denn ich bin auch nicht mehr bereit, meine Anliegen höflich, zurückhaltend und vorsichtig zu formulieren. Das habe ich bereits viele Jahre getan. Man schlägt mir vor, ich soll Sie zuerst loben. Ich soll Ihnen danken. Ich soll strategisch zurückhaltend sein. Um erst später, durch die Blume, etwas zu fordern. Vielleicht, vielleicht würden Sie dann mal wirklich hinhören.

Aber warum? Das habe ich doch schon all diese Jahre gemacht. Rücksicht genommen, aufgepasst, Sie nicht zu verletzen. Nicht zu weit zu gehen mit meinen Forderungen (im Iran ist ja auch alles viel schlimmer. Stimmt sogar! Aber das ist eine andere Geschichte). Was hat meine Vorsicht bisher gebracht? Was hat das ausgelöst? Ausser noch mehr Wut in mir? Noch mehr Frust auf meiner Seite? Noch mehr Unbehagen auf beiden Seiten?
Ich frage mich: Gibt man Ihnen die gleichen Tipps? Halten Sie sich genauso zurück? Hören Sie mir ebenso aufmerksam zu, wie ich Ihnen zuhören soll? Versetzen Sie sich auch so oft in mich hinein, um zu verstehen, warum ich nicht anders kann, als so zu sein, wie ich bin?

Ja! Ich bin müde!

‍Ich bin müde davon, vorsichtig zu sein. Ich bin müde davon, auf Ihre Empfindungen Rücksicht zu nehmen, Sie tun das mir gegenüber auch nicht. Ich bin müde davon, dass das Problem (egal welches) immer auf meiner Seite ist. Ich bin müde davon, mich Ihnen anzupassen. Und ich bin wütend. Bin ich wütend auf Sie? Ja, bestimmt. Ich bin aber auch wütend auf mich. Weil ich mich angepasst habe. Weil ich Ihnen viel zu oft nicht gesagt habe, was Sache ist. Weil ich Ihre Spielregeln übernommen habe.

Ich bin müde von Ihren Ausreden. Von dem langen Register der Ausreden, warum das Problem nicht bei Ihnen sei, sondern bei mir. Warum es ausreicht, dass Sie es nicht böse meinen. Ja, dass Sie es sogar gut meinen. Aber halt nicht besser können … Oh!!!! Und ja, es kommen mir die Tränen. Aber nicht, weil ich Mitleid habe mit Ihnen, sondern weil ich Mitleid mit den Kindern hab.

Und ja, ich bin müde!

Es ändert sich nichts. Es ändert sich nichts, weil Sie sich weigern, das Problem zu sehen. Anzuerkennen. Weil es ja nicht Ihr Problem ist. Sie sind auf der sicheren Seite. Sie sind im Trockenen. Sie sehen es nicht ein, dass Sie mit Ihrem Handeln strukturell (bewusst oder unbewusst, interessiert mich nicht einmal) ganz viele Mitbürger*innen und auch deren Kinder ignorieren. Dass viele Kinder hier in unserer Stadt zurückstehen müssen. Zurückstehen statt teilhaben.

Die Eltern können nicht Deutsch? Deswegen schaffen es die Kinder nicht auf das Gymnasium? Und das ist nicht Ihr Problem? Sie können ja nichts dafür, dass die anderen ungebildet sind? Die sollen doch keine Ansprüche stellen? Warum denn eigentlich nicht?! 

Diese Menschen sind hier. Sie gehören zu unserem Land. Sie bauten das Land. Und sie bauen noch immer Ihre Häuser. Ja, auch Ihre Schulhäuser. Ihre Universitäten, in denen Ihre Kinder studieren. Sie bauen die Strassen, auf denen Ihre Kinder in die Schule fahren. Sie sind die Pfleger*innen, die Sie im Krankenhaus pflegen. Sie holen Ihren Müll ab. Sie putzen Ihre Wohnungen. Sie erledigen so viel Arbeit, die Sie und später auch Ihre Kinder nicht bereit sind zu machen.

Und warum sollten diese Menschen keinen Anspruch haben? Warum soll ich keinen Anspruch haben, dass Sie diese Menschen ernst nehmen? Dass Sie zu Ihnen sprechen, auch wenn sie kein Deutsch oder Mundart können? Das ist nicht Ihr Job? Das ist nicht Ihr Problem?

Das ist ein Problem!

Ich bin müde, Sie zu bitten, dass Sie bitte so kommunizieren, dass alle Eltern sich ernst genommen fühlen.

Ich bin müde davon, dass Sie so faul sind. Ich will keine anderen Worte mehr dafür nutzen als Ignoranz, Verantwortungslosigkeit, Gleichgültigkeit.

Ich bin müde, liebe Schulen dieser Stadt. Wacht auf. Tut etwas! Hört uns. Redet mit uns! 

Hochachtungsvoll,
Ich, Vertretung anderer Sprachgruppen

*Shaila, Mutter

Es ist erstaunlich. Nun darf ich zum ersten Mal eine Wutrede schreiben. Man sagt mir, dass meine Wut interessiert. Dass man sie unzensiert hören und lesen will. Jetzt darf ich wütend sein. Wow! Und im gleichen Augenblick löst sich die Wut auf. Sie weicht einer Trauer, einer Erlösung, einem in sich versinken, in ein Müde-Sein. 

Aber gut, ich lasse sie nicht los. Die Wut. Weil sie meine treue Begleiterin ist. Wut oder Frust. Ich kann das nicht mehr auseinanderhalten. Wut, Frust und auch Trauer. Daher zurück zur Wut. An wen richte ich sie überhaupt …?

An die Schulleitung? An die Oberschuldirektion? An die Herren und Damen der Bildungsdirektion? An meine Kolleg*innen im Elternkomitee? An meine Freund*innen, die mich all die Jahre alleine gelassen haben mit diesen Themen? Die sich provoziert gefühlt haben? Die alles relativiert haben? Die gefunden haben, ich übertreibe? Ich sei zu empfindlich? Ich langweile mit immer den gleichen Themen? An meinen Nächsten, die sich immer wieder für mich geschämt haben? An mich selber?

Sehr geehrte Kreisschulpflege

Liebe Schulleitung Liebe Kolleg*innen des Elternkomitees, Vertretung der Sprachgruppe Deutsch

Meine allerliebsten Freund*innen, die ihr alle Gesuche geschrieben habt, für die Umteilung eurer Kinder in andere Schulen 

Heute wende ich mich an Sie alle, um Ihnen folgende wichtige Mitteilung zu machen:
‍Ich bin müde!

Das mag sich vielleicht absurd anhören oder gar banal. Vielleicht empfinden Sie einmal mehr das Unbehagen, nicht zu wissen, was Sie mit meinem Input anfangen sollen. Was ich schon wieder will. Für einmal würde mich das nicht überraschen. Diesmal können Sie ruhig erstaunt und überfordert sein.

Ja! Ich bin müde!

Und ja, ich finde, das geht Sie etwas an. Ich finde, das ist nicht mein Problem. Es hat nicht nur etwas mit mir selbst zu tun. Sondern mit Ihnen. Ich finde, das ist genauso Ihr Problem. Ein Problem, das Sie ernst nehmen sollen. Ja … müssen.

Denn ich bin auch nicht mehr bereit, meine Anliegen höflich, zurückhaltend und vorsichtig zu formulieren. Das habe ich bereits viele Jahre getan. Man schlägt mir vor, ich soll Sie zuerst loben. Ich soll Ihnen danken. Ich soll strategisch zurückhaltend sein. Um erst später, durch die Blume, etwas zu fordern. Vielleicht, vielleicht würden Sie dann mal wirklich hinhören.

Aber warum? Das habe ich doch schon all diese Jahre gemacht. Rücksicht genommen, aufgepasst, Sie nicht zu verletzen. Nicht zu weit zu gehen mit meinen Forderungen (im Iran ist ja auch alles viel schlimmer. Stimmt sogar! Aber das ist eine andere Geschichte). Was hat meine Vorsicht bisher gebracht? Was hat das ausgelöst? Ausser noch mehr Wut in mir? Noch mehr Frust auf meiner Seite? Noch mehr Unbehagen auf beiden Seiten?
Ich frage mich: Gibt man Ihnen die gleichen Tipps? Halten Sie sich genauso zurück? Hören Sie mir ebenso aufmerksam zu, wie ich Ihnen zuhören soll? Versetzen Sie sich auch so oft in mich hinein, um zu verstehen, warum ich nicht anders kann, als so zu sein, wie ich bin?

Ja! Ich bin müde!

‍Ich bin müde davon, vorsichtig zu sein. Ich bin müde davon, auf Ihre Empfindungen Rücksicht zu nehmen, Sie tun das mir gegenüber auch nicht. Ich bin müde davon, dass das Problem (egal welches) immer auf meiner Seite ist. Ich bin müde davon, mich Ihnen anzupassen. Und ich bin wütend. Bin ich wütend auf Sie? Ja, bestimmt. Ich bin aber auch wütend auf mich. Weil ich mich angepasst habe. Weil ich Ihnen viel zu oft nicht gesagt habe, was Sache ist. Weil ich Ihre Spielregeln übernommen habe.

Ich bin müde von Ihren Ausreden. Von dem langen Register der Ausreden, warum das Problem nicht bei Ihnen sei, sondern bei mir. Warum es ausreicht, dass Sie es nicht böse meinen. Ja, dass Sie es sogar gut meinen. Aber halt nicht besser können … Oh!!!! Und ja, es kommen mir die Tränen. Aber nicht, weil ich Mitleid habe mit Ihnen, sondern weil ich Mitleid mit den Kindern hab.

Und ja, ich bin müde!

Es ändert sich nichts. Es ändert sich nichts, weil Sie sich weigern, das Problem zu sehen. Anzuerkennen. Weil es ja nicht Ihr Problem ist. Sie sind auf der sicheren Seite. Sie sind im Trockenen. Sie sehen es nicht ein, dass Sie mit Ihrem Handeln strukturell (bewusst oder unbewusst, interessiert mich nicht einmal) ganz viele Mitbürger*innen und auch deren Kinder ignorieren. Dass viele Kinder hier in unserer Stadt zurückstehen müssen. Zurückstehen statt teilhaben.

Die Eltern können nicht Deutsch? Deswegen schaffen es die Kinder nicht auf das Gymnasium? Und das ist nicht Ihr Problem? Sie können ja nichts dafür, dass die anderen ungebildet sind? Die sollen doch keine Ansprüche stellen? Warum denn eigentlich nicht?! 

Diese Menschen sind hier. Sie gehören zu unserem Land. Sie bauten das Land. Und sie bauen noch immer Ihre Häuser. Ja, auch Ihre Schulhäuser. Ihre Universitäten, in denen Ihre Kinder studieren. Sie bauen die Strassen, auf denen Ihre Kinder in die Schule fahren. Sie sind die Pfleger*innen, die Sie im Krankenhaus pflegen. Sie holen Ihren Müll ab. Sie putzen Ihre Wohnungen. Sie erledigen so viel Arbeit, die Sie und später auch Ihre Kinder nicht bereit sind zu machen.

Und warum sollten diese Menschen keinen Anspruch haben? Warum soll ich keinen Anspruch haben, dass Sie diese Menschen ernst nehmen? Dass Sie zu Ihnen sprechen, auch wenn sie kein Deutsch oder Mundart können? Das ist nicht Ihr Job? Das ist nicht Ihr Problem?

Das ist ein Problem!

Ich bin müde, Sie zu bitten, dass Sie bitte so kommunizieren, dass alle Eltern sich ernst genommen fühlen.

Ich bin müde davon, dass Sie so faul sind. Ich will keine anderen Worte mehr dafür nutzen als Ignoranz, Verantwortungslosigkeit, Gleichgültigkeit.

Ich bin müde, liebe Schulen dieser Stadt. Wacht auf. Tut etwas! Hört uns. Redet mit uns! 

Hochachtungsvoll,
Ich, Vertretung anderer Sprachgruppen

*Shaila, Mutter

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