Wer Ist Der Versager?

«Ich schaffe das nicht», sagt mir mein Schüler.
«Ich kann da nicht hingehen.»
«Ich schaffe das einfach nicht!»

Ich verstehe die Welt nicht mehr.
Ich spüre, es ist ernst.
Aber ich weiss nicht, warum.
Auf mein Nachfragen bleibt er stumm.

Am nächsten Tag höre ich wieder dasselbe von ihm.
«Nie werde ich das schaffen.»
«Warum denn, wo liegt das Problem?», frage ich ihn.
«Ich kann das einfach nicht!»
Doch mehr erfahre ich wieder nicht.

Wochen später sprechen wir in der Schule zum ersten Mal über Diskriminierungen. Ich erkläre, wie Diskriminierungserfahrungen wirken. Dass es viele Formen gibt und dass sie alle verletzen.
An diesem Tag erfahre ich, dass auch er schon viele solche Erfahrungen machen musste und er es deshalb kaum mehr aushält. Dass er sich nicht mehr bewegen will in unserer Gesellschaft. Ich lerne, dass der öffentliche Raum für ihn unsicher ist. «Ich halte es nicht mehr aus», erklärt er mir und erzählt von den Blicken, die sich bei ihm wie giftgetränkte Pfeilspitzen einbohren. «Jeden Tag diese Blicke, die meinen Körper streifen, mich zurückweisen. Fremde Blicke, die mir entgegengeschleudert werden, beim Einsteigen in den Bus, auf der Rolltreppe, in der Migros. Blicke, die mich verorten und entwerten, die mir das Gefühl geben, nicht da sein zu dürfen.»
Er blickt in die Ferne.
«Ich schaffe das nicht – ich schaffe das einfach nicht.
Ich schaff es nicht, mit dem Bus und dem Zug zu meiner Lehrstelle zu fahren und 40 Minuten lang diesen Blicken ausgeliefert zu sein», sagt er. «Und dann auf dem Heimweg ein zweites Mal, jeden Tag – fünf Tage die Woche. Nein, das schaff ich nicht.» Er schaut mich mit traurigen Augen an: «Ich werde meine Lehre abbrechen – und ich weiss, dass ihr dann sagen werdet, dass ich der Versager bin.»

*Reeva, Lehrperson

«Ich schaffe das nicht», sagt mir mein Schüler.
«Ich kann da nicht hingehen.»
«Ich schaffe das einfach nicht!»

Ich verstehe die Welt nicht mehr.
Ich spüre, es ist ernst.
Aber ich weiss nicht, warum.
Auf mein Nachfragen bleibt er stumm.

Am nächsten Tag höre ich wieder dasselbe von ihm.
«Nie werde ich das schaffen.»
«Warum denn, wo liegt das Problem?», frage ich ihn.
«Ich kann das einfach nicht!»
Doch mehr erfahre ich wieder nicht.

Wochen später sprechen wir in der Schule zum ersten Mal über Diskriminierungen. Ich erkläre, wie Diskriminierungserfahrungen wirken. Dass es viele Formen gibt und dass sie alle verletzen.
An diesem Tag erfahre ich, dass auch er schon viele solche Erfahrungen machen musste und er es deshalb kaum mehr aushält. Dass er sich nicht mehr bewegen will in unserer Gesellschaft. Ich lerne, dass der öffentliche Raum für ihn unsicher ist. «Ich halte es nicht mehr aus», erklärt er mir und erzählt von den Blicken, die sich bei ihm wie giftgetränkte Pfeilspitzen einbohren. «Jeden Tag diese Blicke, die meinen Körper streifen, mich zurückweisen. Fremde Blicke, die mir entgegengeschleudert werden, beim Einsteigen in den Bus, auf der Rolltreppe, in der Migros. Blicke, die mich verorten und entwerten, die mir das Gefühl geben, nicht da sein zu dürfen.»
Er blickt in die Ferne.
«Ich schaffe das nicht – ich schaffe das einfach nicht.
Ich schaff es nicht, mit dem Bus und dem Zug zu meiner Lehrstelle zu fahren und 40 Minuten lang diesen Blicken ausgeliefert zu sein», sagt er. «Und dann auf dem Heimweg ein zweites Mal, jeden Tag – fünf Tage die Woche. Nein, das schaff ich nicht.» Er schaut mich mit traurigen Augen an: «Ich werde meine Lehre abbrechen – und ich weiss, dass ihr dann sagen werdet, dass ich der Versager bin.»

*Reeva, Lehrperson

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