Was Ich Mir Wünsche

Langenthal, 8. Juli 2005

Liebe Kindergärtnerin, lieber Kindergärtner

Ich wünsche mir Puppen, die ähnlich aussehen wie ich. Puppen mit mandelförmigen Augen, krausen Haaren, in allen Hautfarben. Ich möchte mir zumindest vorstellen können, die Hauptfigur in einem der Bücher zu sein, die Sie uns verteilen. Das geht aber nicht, wenn kein*e Held*in so aussieht wie ich.  

Ich verstehe nicht, wieso Sie immer nur von einem «hautfarbenen Stift» sprechen – Denn, wenn ich meine Freund*innen anschaue, sehe ich unterschiedliche Farben. Ich verstehe auch nicht, wieso zwei Kinder aus meiner Gruppe nicht mit mir spielen wollen. Als ich die zwei gefragt habe, sagten sie, es sei, weil ich anders sei. Daraufhin habe ich mich ganz lange im Spiegel angeschaut. Sie haben mich dabei beobachtet und gefragt, was ich da mache. Ich habe Sie gefragt, ob ich anders bin als die anderen Kinder. Nein, haben Sie gesagt und gefragt, ob ich das von jemandem aus dem Kindergarten gehört habe. Zuerst wollte ich die Namen nicht sagen. Schliesslich tat ich es doch. Sie haben die beiden Kinder zur Seite genommen und mit ihnen gesprochen. Ich würde so gerne wissen, was Sie ihnen gesagt haben! Es hat nämlich geholfen, von da an spielten sie plötzlich mit mir. Allerdings weiss ich immer noch nicht, was die beiden mit «anders» gemeint haben. Ich wünschte, Sie hätten unserer ganzen Gruppe das erzählt, was Sie ihnen gesagt haben. Vielleicht müsste ich dann nicht mehr darüber nachdenken, was an mir anders ist.

Vermutlich verstehe ich manche Dinge nicht, weil ich noch klein bin...Einmal hatte eine Freundin Geburtstag und ihre Eltern haben uns Süssigkeiten in den Kindergarten gebracht. Es brach ein Streit über den Namen der Süssigkeiten aus: Die einen nannten sie «Schoggiküsse», die anderen «M-köpfe». Sie haben uns gesagt, dass wir nicht «M-köpfe» sagen sollen. Mein Freund hat Sie gefragt, warum wir das nicht sagen dürfen. Sie haben geantwortet, weil es kein schönes Wort sei. In dem Moment habe ich nicht darüber nachgedacht, ich wollte einfach nur essen. Später ist mir aber eingefallen, dass Sie uns gar nicht erklärt haben, warum das Wort nicht schön sei. Ich merke nämlich keinen Unterschied zu anderen Wörtern, aber vielleicht bedeutet es ja etwas Ähnliches wie Dummkopf.

Langenthal, 10. Juli 2009

Liebe Lehrer*innen

Wenn Sie mich nicht ständig mit einem*r Mitschüler*in mit ähnlichen Gesichtszügen oder ähnlicher Hautfarbe verwechseln würden, hätte ich den Mut, Ihnen zu erzählen, dass ich aufgrund meines Aussehens ausgelacht werde. Dann wüssten Sie auch, dass ich nur wenig über das Land weiss, in dem meine Mutter aufgewachsen ist. Wahrscheinlich hätten Sie mich dann auch nicht vor der Klasse dazu aufgefordert, von «meinem Herkunftsland» zu erzählen.
Wenn Sie diskriminierendes Verhalten erkennen würden, müsste ich keine Angst mehr davor haben, auf Unverständnis zu stossen – wie damals nach den Frühlingsferien. Können Sie sich noch an den Tag erinnern, als Sie uns die Diktate zurückgegen haben? An diesem Tag wollte ich meine Klassenkameradin trösten, weil sie geknickt war wegen ihrer Note. Auf meine aufmunternden Worte erwiderte sie: «Für dich ist eine Viereinhalb vielleicht nicht so schlecht, aber für uns ist es keine gute Note.» Wissen Sie noch, wie Sie darauf reagiert haben? Ich musste mich bei meiner Mitschülerin entschuldigen. Bis heute verstehe ich nicht, warum. Irgendetwas in mir hofft, dass Sie damals nicht genau gehört haben, was meine Klassenkameradin zu mir gesagt hat. Leider erklärt das nicht, wieso ich mich entschuldigen musste.

Ich will nicht sagen, dass Sie alles falsch machen. Als mich ein Mitschüler aufgrund eines äusserlichen Merkmals beleidigt hat, sind Sie vor die Klasse gestanden und haben gesagt, dass Sie kein diskriminierendes Verhalten in Ihrem Klassenzimmer dulden. Ich fühlte mich bestärkt. Im Nachhinein ist mir aber aufgefallen, dass es lehrreicher gewesen wäre, wenn wir ausführlich über strukturelle Ungleichheiten gesprochen hätten. Denn vermutlich war auch mein Mitschüler selbst schon Opfer von Diskriminierung. Doch wie sollen wir unsere Erlebnisse teilen können, wenn wir in der Schule keine Sprache dafür erlernen?

Amina Mvidie, Studentin, 22 Jahre alt

Langenthal, 8. Juli 2005

Liebe Kindergärtnerin, lieber Kindergärtner

Ich wünsche mir Puppen, die ähnlich aussehen wie ich. Puppen mit mandelförmigen Augen, krausen Haaren, in allen Hautfarben. Ich möchte mir zumindest vorstellen können, die Hauptfigur in einem der Bücher zu sein, die Sie uns verteilen. Das geht aber nicht, wenn kein*e Held*in so aussieht wie ich.  

Ich verstehe nicht, wieso Sie immer nur von einem «hautfarbenen Stift» sprechen – Denn, wenn ich meine Freund*innen anschaue, sehe ich unterschiedliche Farben. Ich verstehe auch nicht, wieso zwei Kinder aus meiner Gruppe nicht mit mir spielen wollen. Als ich die zwei gefragt habe, sagten sie, es sei, weil ich anders sei. Daraufhin habe ich mich ganz lange im Spiegel angeschaut. Sie haben mich dabei beobachtet und gefragt, was ich da mache. Ich habe Sie gefragt, ob ich anders bin als die anderen Kinder. Nein, haben Sie gesagt und gefragt, ob ich das von jemandem aus dem Kindergarten gehört habe. Zuerst wollte ich die Namen nicht sagen. Schliesslich tat ich es doch. Sie haben die beiden Kinder zur Seite genommen und mit ihnen gesprochen. Ich würde so gerne wissen, was Sie ihnen gesagt haben! Es hat nämlich geholfen, von da an spielten sie plötzlich mit mir. Allerdings weiss ich immer noch nicht, was die beiden mit «anders» gemeint haben. Ich wünschte, Sie hätten unserer ganzen Gruppe das erzählt, was Sie ihnen gesagt haben. Vielleicht müsste ich dann nicht mehr darüber nachdenken, was an mir anders ist.

Vermutlich verstehe ich manche Dinge nicht, weil ich noch klein bin...Einmal hatte eine Freundin Geburtstag und ihre Eltern haben uns Süssigkeiten in den Kindergarten gebracht. Es brach ein Streit über den Namen der Süssigkeiten aus: Die einen nannten sie «Schoggiküsse», die anderen «M-köpfe». Sie haben uns gesagt, dass wir nicht «M-köpfe» sagen sollen. Mein Freund hat Sie gefragt, warum wir das nicht sagen dürfen. Sie haben geantwortet, weil es kein schönes Wort sei. In dem Moment habe ich nicht darüber nachgedacht, ich wollte einfach nur essen. Später ist mir aber eingefallen, dass Sie uns gar nicht erklärt haben, warum das Wort nicht schön sei. Ich merke nämlich keinen Unterschied zu anderen Wörtern, aber vielleicht bedeutet es ja etwas Ähnliches wie Dummkopf.

Langenthal, 10. Juli 2009

Liebe Lehrer*innen

Wenn Sie mich nicht ständig mit einem*r Mitschüler*in mit ähnlichen Gesichtszügen oder ähnlicher Hautfarbe verwechseln würden, hätte ich den Mut, Ihnen zu erzählen, dass ich aufgrund meines Aussehens ausgelacht werde. Dann wüssten Sie auch, dass ich nur wenig über das Land weiss, in dem meine Mutter aufgewachsen ist. Wahrscheinlich hätten Sie mich dann auch nicht vor der Klasse dazu aufgefordert, von «meinem Herkunftsland» zu erzählen.
Wenn Sie diskriminierendes Verhalten erkennen würden, müsste ich keine Angst mehr davor haben, auf Unverständnis zu stossen – wie damals nach den Frühlingsferien. Können Sie sich noch an den Tag erinnern, als Sie uns die Diktate zurückgegen haben? An diesem Tag wollte ich meine Klassenkameradin trösten, weil sie geknickt war wegen ihrer Note. Auf meine aufmunternden Worte erwiderte sie: «Für dich ist eine Viereinhalb vielleicht nicht so schlecht, aber für uns ist es keine gute Note.» Wissen Sie noch, wie Sie darauf reagiert haben? Ich musste mich bei meiner Mitschülerin entschuldigen. Bis heute verstehe ich nicht, warum. Irgendetwas in mir hofft, dass Sie damals nicht genau gehört haben, was meine Klassenkameradin zu mir gesagt hat. Leider erklärt das nicht, wieso ich mich entschuldigen musste.

Ich will nicht sagen, dass Sie alles falsch machen. Als mich ein Mitschüler aufgrund eines äusserlichen Merkmals beleidigt hat, sind Sie vor die Klasse gestanden und haben gesagt, dass Sie kein diskriminierendes Verhalten in Ihrem Klassenzimmer dulden. Ich fühlte mich bestärkt. Im Nachhinein ist mir aber aufgefallen, dass es lehrreicher gewesen wäre, wenn wir ausführlich über strukturelle Ungleichheiten gesprochen hätten. Denn vermutlich war auch mein Mitschüler selbst schon Opfer von Diskriminierung. Doch wie sollen wir unsere Erlebnisse teilen können, wenn wir in der Schule keine Sprache dafür erlernen?

Amina Mvidie, Studentin, 22 Jahre alt

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